Strafzinsen für Strom

Kommentar von Helmut Sendner von der Fachzeitschrift „Energie&Management“

Rastatt, 12.03.2014

Strafzinsen für StromBundesenergieminister Sigmar Gabriel lehnt den Kapazitätsmarkt ab und setzt auf den Markt. Nur auf welchen, das lässt er offen.

Im Januar diesen Jahres waren in Deutschland rund 38.000 MW Windkraftleistung installiert. Am 9. und 10. Januar waren in Deutschland die beiden Sturmtiefs „Elon“ und „Felix“ unterwegs, von der Zugspitze bis nach Sylt. Es blies auf den Bergen und in der Ebene. Auf Sylt wurden Spitzenböen von 163 km/h gemessen, auf der Zugspitze waren es nur 152 km/h. In Berlin-Wannsee wurden 133 km/h registriert, im südlichen Freiburg 117 km/h.

Von den 38.000 MW standen in diesen Tagen Windmühlen mit Leistungen zwischen knapp 30.000 und gut 31.000 MW im Wind, die Energiebörse EEX meldete den deutschen Einspeiserekord für Windstrom – und die Megawattstunde wurde für 1,10 Euro gehandelt. Immerhin war der Preis noch im Plus. Und das waren auch die Kosten für die Netzbetreiber, die diese enormen Mengen Windstrom ausregeln mussten. Allein TenneT nennt 60 Millionen Euro dafür, zu bezahlen von den Stromkunden.

Die MeteoGroup, ein Dienstleister für Wettervorhersagen, prognostizierte am 13. Januar, dass in den folgenden Tagen der Wind abflauen würde und nur noch Werte von 10 bis 12 Gigawatt (GW) wahrscheinlich seien; für die Woche vom 19. bis 25. Januar könnten es dann noch Werte von zwei bis drei GW sein, „aber auch tatsächlich niedriger“. Die fluktuierende Windleistung ist mittlerweile halbwegs vorausschauend zu berechnen, aber deshalb längst nicht zu beherrschen: 31.000 MW heute, null MW morgen. Die weitere Ausbauplanung der Windkraft ist entsprechend dem EEG halbwegs abzusehen: onshore sollen jedes Jahr 2.500 MW dazukommen, was für das Jahr 2020 dann eine installierte Leistung von 53.000 MW wäre, plus wahrscheinlich 7.000 MW offshore – 60.000 MW dann insgesamt. Und es werden Sturmtiefs welchen Namens auch immer kommen, die dann an zwei, drei Tagen Strom aus 55.000 MW ins Netz blasen, der Börsenpreis rutscht ins Negative – und am nächsten Tag ist absolute Flaute. Diese Betrachtung ließe sich ergänzen damit, dass mal Wind weht und die Sonne vom Himmel brennt und Strom aus zig Tausend Megawatt Photovoltaik-Anlagen ins Netz fließt: Es entstehen wie schon oft und in Zukunft sicher verstärkt negative Preise. Die Stromproduzenten liefern kostenlos und müssen den Abnehmer dafür bezahlen, dass er ihn irgendwie vermarktet, man könnte auch verramscht sagen.

Damit wird Strom zur ganz normalen Ware. Sind mehr Kaffee, Kakao oder Koteletts vorhanden als die Verbraucher üblicherweise kaufen, dann werden die Preise gesenkt, damit der Kunde auf Vorrat kauft. Nicht die Produzenten bauen ihre Lager aus, sondern die Konsumenten: Der Kaffee kommt in den Keller oder die Speisekammer, die Koteletts in die Tiefkühltruhe.

Mittlerweile ist das auch bei Geld so: Es ist mehr vorhanden als gebraucht wird. Wer es nicht unters Kopfkissen schieben will, bringt es zur Bank und zahlt dafür, dass es dort sicher verwahrt wird – das heißt dann Negativzinsen oder Strafzinsen. Erste Privatbanken machen das schon so, weil sie selbst Zinsen zahlen müssen, wenn sie Geld bei der Europäischen Zentralbank (EZB) lagern wollen. Man könnte Geld also auch verschenken, damit der Beschenkte die Probleme hat.

Damit sind wir mitten in der gegenwärtigen Debatte um den zukünftigen Strommarkt. Aus Wind und Sonne werden sehr oft sehr viel mehr Kilowattstunden erzeugt als sie jemand braucht, selbst das Verschenken des an sich edlen Stoffes würde da nichts helfen. Abhilfe, aber nur teilweise, kann der Export des Stroms leisten. Abhilfe, aber volks- wie betriebswirtschaftlicher Unsinn, kann sein, die Windkraftwerke aus dem Wind zu nehmen, was schon heute passiert. Da hätten wir dann die gleiche Situation wie bei den konventionellen Kraftwerken, die mal gebaut wurden, damit sie möglichst viel Strom produzieren, heute aber die meiste Zeit in der Reserve schlummern und den Betreibern kein Geld mehr bringen. Oder dadurch überleben, dass sie in Notfällen – wenn Sonne und Wind gar nichts oder viel zu wenig produzieren – die Megawattstunde für ein paar tausend Euro verkaufen können, so stellt sich das der Bundesenergieminister Sigmar Gabriel vor. Er will keinen Kapazitätsmarkt, der Wettbewerbsmarkt werde es schon richten. Doch, so sagt er, irgendwelche strategischen Reserven müsse es schon geben. Das ist alles so ungefähr und bringt bei den Erneuerbaren so viel Unsicherheit wie bei den Konventionellen.

Naheliegend wäre ein massiver Ausbau der Stromspeicher: In die gibt man wie bei der EZB das überflüssige Geld – den zu viel produzierten Strom – und zahlt Gebühr dafür. Es wären in diesem Fall Strafzinsen, die eigentlich die Regierung übernehmen müsste, weil sie den Überfluss zu verantworten hat.

Sicherlich: Es sind noch nicht alle Optimierungsmöglichkeiten wie der intelligente Netzausbau und Demand Side Management ausgeschöpft. Aber absehbar ist, dass diese Maßnahmen alleine nicht ausreichen, um den immer größer werdenden Erzeugungsüberschuss und die volatile Erzeugung in wirtschaftliche Bahnen zu lenken.

Der von BDEW wie VKU oder aktuell namentlich von Eon-Chef Johannes Teyssen geforderte Kapazitätsmarkt wäre eine Notlösung für Kraftwerksbetreiber, aber keine langfristige Systemlösung.

Sigmar Gabriel setzt auf den Markt, und das ist gut so, er muss nun aber möglichst schnell sagen, was er mit Markt wirklich meint.

Blog-Autor: Helmut Sendner (Energie&Management)
Grafik: Erwin Wodicka – fotolia.com

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