Herrsching | 13. April 2016 |

Kohle und Klimaschutz - Willkommen in der Realpolitik

Sozialdemokraten und Christdemokraten in Nordrhein-Westfalen zeigen kein Interesse, sich auf die Braunkohle-Ausstiegspläne von Agora Energiewende einzulassen.

Nordrhein-Westfalen nennt sich gerne das Energieland Nummer eins. Zu Recht. Aus dem Powerhouse der Republik stammen gut 30 % der bundesweiten Stromproduktion. Das Energieland ist aber auch unbestritten das Schlüsselland Nummer eins, ob die Bundesregierung mit ihren Klimaschutzzielen Schiffbruch erleidet oder nicht. Denn mehr als Dreiviertel des NRW-Stroms wird in Braun- und Steinkohleblöcken mit immensen Kohlendioxid-Emissionen erzeugt.

Mit dem im vergangenen Dezember erzielten Agreement auf der Weltklimakonferenz in Paris hat sich der klimapolitische Druck auf die Bundesregierung, aber vor allem auf die Düsseldorfer Landesregierung erhöht. Die notwendige angestrebte CO2-Minderung um 95 % bis Mitte des Jahrhunderts wird nur dann zu erreichen sein, wenn gleichzeitig die Tage der Kohlestromerzeugung in NRW wie auch in der Lausitz gezählt sind. Wohin unter diesen Vorgaben die Reise gehen muss, hatte Anfang des Jahres Agora Energiewende mit gewohnt medialen Verve präsentiert: Nach einem dezidiert ausgearbeiteten Ausstiegsfahrplan des energiepolitischen Denk- und Politiklabors soll hierzulande 2040 mit der Kohleverstromung und -förderung Schluss sein.

Auf die letzten beiden verbliebenen Steinkohle-Zechen in Bottrop und Ibbenbüren fällt Ende 2018 der Deckel. Daher sind die Folgen für die drei Braunkohle-Abbaugebiete in Ost und West viel spannender. Was auf das Rheinische Revier nach der Pariser Einigung zukommt, präsentierte jüngst Patrick Graichen, der Direktor von Agora Energiewende, in Düsseldorf auf einer Veranstaltung der Stiftung Mercator. Danach könnte der RWE-Konzern von den behördlich genehmigten Kohlenvorräten im Umfang von etwa 2,6 Mrd. t allenfalls noch 1 Mrd. t noch nutzen, sprich weniger als 40 %. Das hieße, dass in den 2030er Jahren nur noch einer der heute drei Tagebaue partiell genutzt werden könnte.

Die Leitentscheidung greift zu kurz

Dass Graichen sich mit diesen Zahlen und Aussagen sozusagen in die Höhle des Löwen gewagt hatte, war ihm schon vor der Anreise klar gewesen. Mitte Januar hatte NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft mit Unverständnis auf die Kohle-Pläne von Agora Energiewende reagiert und betont, keine Notwendigkeit für ein konkretes Ausstiegsdatum aus der Braunkohle zu sehen. Es war deshalb keine Überraschung, dass Michael Hübner Graichens Braunkohle-Analyse „wenig hilfreich und zielführend“ nannte. Der Gladbecker Landtagsabgeordnete, der in der SPD-Fraktion seit 2015 für die Themen Wirtschaft und Energie zuständig ist, setzt voll auf die von der rot-grünen NRW-Landesregierung vor der Sommerpause angekündigte Leitentscheidung für die weitere Braunkohleförderung. Nach dem seit dem vergangenen Herbst vorliegenden Entwurf würde einige Dörfer im Rheinland das Abbaggern erspart bleiben, verbunden damit blieben 300 bis 400 Mio. t in der Erde. „Die Pariser Ziele sind mit der Leitentscheidung zu schaffen“, behauptete Hübner. Was rechnerisch nach den von Agora Energiewende vorgestellten Zahlen nur schwer nachvollziehbar ist.

Unterstützung erhielt Hübner von seinem Fraktionskollegen Rainer Thiel, der die Agora-Überlegungen eine „gesellschaftspolitische Geisterbahn-Debatte“ nannte: „Ich finde es abenteuerlich, wie viel Wertschöpfung mit dem Braunkohle-Ausstieg vernichtet werden soll. Die Braunkohle trägt zur Wertschöpfung in der Region bei“, sagte der SPD-Mann, der auf seiner Webseite mit dem Slogan „Ich stehe fest an der Seite der Menschen im Rheinischen Revier“ wirbt.

Und nicht nur er, anscheinend auch die Christdemokraten zwischen Rhein und Weser. „So geht es nicht mit dem Braunkohle-Ausstieg“, meinte Josef Hovenjürgen, der energiepolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. Ihm fehle die Verlässlichkeit und der klare Fokus auf die künftige Versorgungssicherheit in den Agora-Überlegungen, monierte der Landwirt aus dem westfälischen Haltern. „Angesichts der weiter wachsenden Einspeisung von Wind und Sonne müssen wir erste die Speicherfrage für die fluktuierenden Energieträger in den Griff bekommen, bevor wir auch für unsere Industrie die Versorgungssicherheit mit den fossilen Energien in Frage stellen.“ Ähnlich argumentiert seit Wochen die Bergbau-Gewerkschaft IGBCE gegen einen nationalen Kohleausstiegsplan.

Was für Reiner Priggen, den wirtschaftspolitischen Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, unverständlich ist: „Die CDU übernimmt kritiklos viele IGBCE-Positionen.“ Priggen wirft insbesondere dem CDU-Landeschef Armin Laschet eine Doppelbödigkeit vor: „Der Mann ist immerhin Stellvertreter von Angela Merkel. Während er in Berlin hinter den Klimazielen der Bundesregierung steht, unterläuft er hier in Nordrhein-Westfalen die gleichen Ziele.“ Laschets Kurs ist für Priggen auch deshalb nicht nachvollziehbar, „weil die CDU weiß, wie ein geordneter Ausstieg der Steinkohle zu organisieren ist.“

In der Tat war es die frühere CDU/FDP-Landesregierung unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, die im Jahr 2007 zusammen mit der Großen Koalition in Berlin den Ausstiegsfahrplan für die Steinkohlen-Förderung beschloss. „Niemand von den Beschäftigten ist ins Bergfrei gefallen“, so Priggen, „daran müssen wir uns beim Ausstieg aus der Braunkohle orientieren.“ Für rund 33 000 Kumpel konnte mit der 2007er Einigung eine sozialverträgliche Regelung bis 2018 gefunden werden. Priggen: „In NRW gibt es rund 10 000 Beschäftige in der Braunkohle, für die sich bis 2040 eine Regelung finden lassen sollte.“ Zumal mindestens zwei Drittel dieser Beschäftigten im Stichjahr 2040 ohnehin schon in Rente sind.

Wie auch Priggen begrüßte Dirk Jansen vom BUND den von Agora Energiewende vorgelegten Ausstiegsplan bis 2040: „Das ist ein Zeitplan, an dem sich Politik, Unternehmen, Gewerkschaften und Beschäftigte orientieren könnten.“ Einen Vorwurf konnte Jansen dem Grünen-Politiker Priggen nicht ersparen: „Die anstehenden Leitentscheidung für die weitere Braunkohleförderung ist zwar ein erster Schritt in die richtige Richtung, sie hilft aber wenig zum Erreichen der notwendigen Klimaziele.“ Als kleinerer Koalitionspartner, räumte Priggen ein, „haben wir es mit Realpolitik zu. Führende Kräfte bei SPD und CDU erkennen mit ihrem Festhalten an der Braunkohle nicht, wie sehr sie das Land im Vergleich zu anderen Regionen ins Hintertreffen bringen.“

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