Herrsching | 19. April 2021 |

Das unterschätzte heimische Wasserstoffpotenzial

Entgegen dem vom Bund anvisierten Fokus auf Wasserstoffimporte aus dem Ausland, unterstreicht die Forschung einmal mehr die Vorteile einer inländischen Produktion grünen Wasserstoffs.

In der Nationalen Wasserstoffstrategie nennt die Bundesregierung bis 2030 einen Bedarf an grünem Wasserstoff von 90 bis 110 Mrd. kWh in Deutschland. Davon soll die heimische Produktion nur 14 Mrd. kWh ausmachen, heißt es. Der Löwenanteil soll demnach aus dem Ausland kommen, da etwa dortige Gestehungskosten niedriger seien.

Diese Ansicht greift zu kurz, kritisieren Forscher vom "Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH" und der DIW Econ GmbH. In einer gemeinsamen Meta-Studie beleuchteten sie die aktuellen Datenlage und ermittelten die Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte eines Wasserstoffimports im Vergleich zu einer heimischen Wasserstoffproduktion. Frank Merten und Alexander Scholz vom Wuppertal Institut gaben in einem Online-Seminar des BHKW-Infozentrums Einblick in die Ergebnisse der Studie, ihr Titel: "Vor- und Nachteile einer Wasserstoffproduktion in Deutschland gegenüber einem Wasserstoffimport".

Große Bandbreite an prognostizierten Kosten

Ein Fazit der Wissenschaftler ist, dass der Import von Wasserstoff mit hohen Unsicherheiten behaftet ist. So machen die Forscher in ihrem Vergleich verschiedener Studien große Unterschiede in den jeweils prognostizierten Bereitstellungskosten von Wasserstoff für 2030 und 2050 aus. Merten zu den Transportkosten: "Die vorliegenden
Studien ergeben für den Wasserstoff-Transport etwa von Marokko via Pipeline nach Deutschland einen Korridor zwischen 30 und 100 Euro je Megawattstunde." Erst ab einer Distanz von 5.000 Kilometern seien die Transportkosten via Schiff annähernd vergleichbar zum Transport via Pipelines. Aber selbst letztere machen eine hieb- und stichfeste Kalkulation nahezu unmöglich. Unklar ist, inwiefern neue Leitungen aufgebaut beziehungsweise bestehende umgewidmet werden müssen.

Entscheidender für den Wasserstoffpreis seien dagegen anlagenspezifische Kostenfaktoren wie Betriebskosten, Lebensdauer und Wirkungsgrad von Elektrolyseuren. Den größten Hebel zur Kostensenkung macht Merten im Wirkungsgrad aus: "Wenn wir den Wirkungsgrad um 20 % verbessern, hat das den stärksten Einfluss auf die Kostensenkung", so Merten mit Blick auf die inländische Wasserstoffproduktion aus Strom von Onshore-Windkraftanlagen.

Nicht nur die Transportkosten und die absehbaren Gewinnaufschläge möglicher Transportnationen müsse bei dem Import von Wasserstoff beachtet werden. Auch Faktoren des jeweiligen Landes, aus dem der Wasserstoff kommen könnte, gelte es zu berücksichtigen. Scholz nennt hier etwa dessen politische Stabilität, die damit verbundene Investitionssicherheit, die Nachhaltigkeit des Energiesystems 2030 vor Ort und den prognostizierten Eigenverbrauch.

Marokko als beispielhaftes Transportland

Am Beispiel Marokkos, einem oft zitierten möglichen Exportland von Wasserstoff, deklinierte Scholz den Faktor "Energiesystem" durch: Zwar habe die nordafrikanische Region sehr intensiv in erneuerbare Energiesysteme investiert, "aber auch Marokko ist sowohl heute als auch mittelfristig sehr stark von fossilen Energieträgern abhängig". Aktuell hätten die erneuerbaren Energien dort einen Anteil am Strommix von 30 %. Auf 52 % will das Land die Erneuerbaren bis 2030 ausbauen, das heißt um zehn Gigawatt elektrische Leistung. "Das sind sehr ambitionierte Ausbaupfade", so Scholz. "Dies würde bedeuten, dass die Wachstumsraten, die wir dort bei Solar- und Windkraft in den letzten Jahren beobachten konnten, kontinuierlich die nächsten Jahre durchgezogen werden".

Vor dem Hintergrund des auch in Marokko wachsenden Strombedarfs, geht Scholz davon aus, dass der erneuerbare Strom vorrangig für die eigene Energiewende und den Eigenbedarf benötigt werden wird. Die Gefahr einer verschleppten Energiewende liege nahe, wenn nicht von Anfang an die Transformation des Energiesystems
vor Ort mitgedacht werde.

Selbst wenn Marokko seine Klimaziele bis 2030 erreiche, hieße das immer noch, dass 48 % der erzeugten Energie aus fossilen Energieträgern stamme. "Hier müsste man dann über Zertifikate oder Monitoring feststellen, ob der Wasserstoff ausschließlich über erneurbare Enerigen erzeugt wurde."

Politischer und gesellschaftlicher Willen in Deutschland nötig

Die heimische Wasserstoffproduktion ist laut der Forscher durchaus konkurrenzfähig. In der aktuellen Wasserstoffdiskussion vermissen die Wuppertaler Forscher die positiven Effekte, die eine Wasserstoffproduktion in Deutschland für die hiesige Wertschöpfung hätte. "Ein starker Heimatmarkt, in dem jetzt schnell viel Elektrolyseleistung hochgefahren wird, ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich hier eine starke Anlagenexportindustrie etablieren kann.

"Eine erhöhte inländische Produktion grünen Wasserstoffs würde zudem den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland befeuern. "Eins ist klar: Wollen wir mehr Wasserstoff in Deutschland produzieren, brauchen wir sehr viel mehr erneuerbare Energien", sagt Scholz. Hier gebe es noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten − sowohl politisch als auch gesellschaftlich.

Die Studie "Vor- und Nachteile einer Wasserstoffproduktion in Deutschland gegenüber einem Wasserstoffimport" haben Forscher auf der Internetseite des Wuppertal Instituts zum Download bereit gestellt.

Kostenloses Seminar "Vor- und Nachteile einer Wasserstoffproduktion in Deutschland gegenüber einem Wasserstoffimport"
Kostenloses Seminar "Vor- und Nachteile einer Wasserstoffproduktion in Deutschland gegenüber einem Wasserstoffimport"

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