Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke wäre eine gefährliche und teure Zwischenlösung
Nicht zum ersten Mal bricht die FDP eine ideologisierte Debatte um den Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Atomkraft vom Zaun. Eine Kurzstudie von Energy Brainpool sieht darin eine teure Sackgasse.
In Deutschland flammt vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs eine Debatte um Laufzeitverlängerungen für die letzten drei noch laufenden Kernkraftwerke auf, die Ende des Jahres endgültig außer Betrieb gehen sollen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat die Idee bereits verworfen. Eine Studie im Auftrag der Ökoenergiegenossenschaft Green Planet Energy (vormals Greenpeace Energy) nennt Argumente, warum eine Laufzeitverlängerung keine Hilfe in der Energiekrise ist.
„Laufzeitverlängerungen für bestehende Reaktoren sind für die Sicherheit der Energieversorgung tatsächlich als weniger effektiv einzuordnen als nachhaltige Investitionen in andere Kraftwerkstechnologien“, so das Fazit von Analyst Michael Claußner von Energy Brainpool. Strom aus Kernkraft liefert derzeit nur noch 5 % des Bedarfs. „Die jahrzehntealten Atomkraftwerke sind Risiko und Hemmschuh für den Ausbau erneuerbarer Technologien“, sagte Sönke Tangermann, Vorstand bei Green Planet Energy. Kernkraftwerke könnten nicht flexibel binnen Minuten je nach Stromerzeugung aus Sonne und Wind anfahren oder herunterschalten, wie zum Beispiel Gaskraftwerke.
Negativ-Beispiel Frankreich
Die drei noch verbliebenen Meiler in Deutschland – Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 – sind jeweils mehr als 30 Jahre alt. „Ungeklärt ist, wie groß der technische Nachrüstbedarf für eine Laufzeitverlängerung ist – und auch, ob die AKWs dafür längere Zeit vom Netz genommen werden müssten“, erinnerte Tangermann. Bisher zurückgestellte sicherheitsrelevante Prüfungen und Instandhaltungsarbeiten müssten jedenfalls nachgeholt werden. In Frankreich waren mit ähnlich alten Meilern seit dem Jahr 2018 im Schnitt nur 66 % der installierten AKW-Leistung abrufbar.
Im April und Mai 2022 wurden dort sogar historische Tiefstwerte erreicht: Mehr als die Hälfte der installierten Kraftwerksleistung in Frankreich stand in diesem Zeitraum still. Die Folgen: Die Strompreise im Land schossen auf historische Höchstwerte – und Frankreich dürfte 2022 laut Analyse erstmals seit langer Zeit wieder Nettostromimporteur werden, statt überschüssigen Strom zu exportieren. Für 2023 erwarte der Betreiberkonzern EDF demnach nur noch eine Produktion von 300 bis 330 Mrd. kWh, „der niedrigste Wert seit 30 Jahren“, so Energy Brainpool.
Die hohen Ausfallzahlen in Frankreich sind laut der Studie sowohl auf geplante Instandhaltungsmaßnahmen und Inspektionen zurückzuführen als auch auf auch strategische Drosselungen zur Einsparung von Brennstoff. Hinzu kommen Abschaltungen wegen aufgetretener Schäden an den Anlagen, wie etwa Korrosion. In heißen Sommern muss zudem wegen Kühlwassermangel in den Flüssen die Stromproduktion gedrosselt werden. „Die Probleme der mangelnden Versorgungssicherheit lassen sich auch auf Deutschland übertragen“, sagte Sönke Tangermann.
Deutsche Kraftwerksbetreiber lehnen Verlängerung ab
Zudem fehlen Personal, Ersatzteile und vor allem Uran-Brennstoff, weil die AKW-Betreiber bisher fest mit einem Betriebsende im Dezember 2022 kalkuliert haben. Weil die Neubeschaffung von Uran bis zu zwei Jahre Zeit benötigen würde, ist nicht auszuschließen, dass die Meiler bis dahin nur mit phasenweise gedrosselter Leistung arbeiten könnten.
Der Chef des Energiekonzerns RWE, Markus Krebber, nannte die Diskussion rückwärtsgewandt. „Wir müssen uns um die Sachen kümmern, die wirklich die Probleme lösen. Gasinfrastruktur aufbauen, Gas sparen und die Energiewende beschleunigen“, sagte Krebber. „Wir müssen die neuen Technologien an Bord bringen und nicht Diskussionen führen, ob irgendwas einen Monat länger läuft", so der Chef des Betreibers des Kernkraftwerks Emsland.
Kernbrennstoff aus Russland
Wie das Bundesumweltministerium (BMUV) inzwischen mitteilte, kommt das Uran für die Brennstäbe in Kernkraftwerken aus dem Ausland. Die Einfuhrstatistiken der Europäischen Versorgungsagentur ESA zeigen, dass rund 20 % des für den Betrieb der Kraftwerke in der Europäischen Union benötigten Urans aus der Russischen Föderation und 19 % aus Kasachstan geliefert wurden. Dies gelte auch für deutsche Kraftwerke, wie mindestens einer der Betreiberkonzerne auch öffentlich bestätigte.
Ein Weiterbetrieb der Anlagen wäre zudem nur möglich, wenn zusätzlich Abstriche bei der Sicherheit beim Betrieb der Atomkraftwerke gemacht werden. Deshalb lehnen die drei derzeitigen Anlageninhaber das Risiko ab und sehen den Staat als Betreiber der Kraftwerke bei einer Verlängerung der Laufzeiten, so das BMUV.
Das Factsheet zur Kurzanalyse von Energy Brainpool steht im Internet bereit
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