Erneuerbare Energien – ein Zukunftsszenario

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Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Anteil erneuerbarer Energien bis zum Jahr 2010 zu verdoppeln. Mit dem aktuellen Beschluss der EU-Ministerkonferenz vom 06.12.2000, den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung in der Europäischen Union von heute 14% auf über 22% im Jahr 2010 zu erhöhen, liegt eine entsprechende Vorgabe nun auch von europäischer Seite vor. Wie aber kann dieses ehrgeiziges Ziel erreicht werden, welche Technologien sind dafür notwendig und wie kann dieser Prozess energiepolitisch gefördert werden? Um die dafür notwendigen Weichenstellungen und Entscheidungen auf der politischen Ebene treffen zu können, werden von wissenschaftlicher Seite mögliche Zukunftsszenarien entworfen. Ein solcher Zukunftsentwurf wird nachfolgend skizziert. Eine ausführlichere Darstellung findet sich im jüngst im Hirzel Verlag erschienenen Buch „Nach dem Ausstieg: Zukunftskurs erneuerbare Energien“.

Das Verdopplungsziel der Bundesregierung beruht auf mehreren Stützpfeilern. Dies sind zum einen die Anforderungen aus der Klimapolitik, die langfristig einen weit über die Verdopplung hinausgehenden Beitrag der erneuerbaren Energien notwendig machen. Zum anderen sind technologiespezifische Gesichtspunkte von entscheidendem Einfluss. Diese Zielvorgabe kann so die „Eintrittskarte“ für eine relevante und rechtzeitige Teilnahme aller Technologien aus dem Bereich erneuerbare Energien an der zukünftigen Energieversorgung sein. Was für die Windenergie bereits heute gilt, nämlich eine attraktive Wachstumsbranche zu sein, die man sich aus unserer Energie- und Industrielandschaft nicht mehr wegdenken kann, erscheint so unter fairen Wettbewerbsbedingungen für alle Technologien bzw. erneuerbaren Energiearten möglich.
Die Realisierung des Verdopplungsziels muss daher so strukturiert sein, dass eine Abwägung zwischen einer möglichst kräftigen Erschließung kostengünstiger Technologien, wie der Biomasse und der Windenergie, und einer ausreichenden Mobilisierung der Technologien mit noch kleinen Marktvolumina, wie Solarkollektoren, Photovoltaik und Erdwärme stattfindet. Außerdem soll erreicht werden, dass der noch geringe regenerative Beitrag zur Wärmeversorgung deutlicher anwächst als der Beitrag zur Stromversorgung mit ihrem hohen Sockel an Wasserkraft.

Berücksichtigt man diese Kriterien, so steigt die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien mit 52 TWh/a auf einen Anteil von 10,2 % an der zu diesem Zeitpunkt (2010) erwarteten Stromerzeugung. Der größte Anteil am Zuwachs kommt mit 70% von der Windenergie. Sie übertrifft 2010 mit 25 TWh/a bzw. 12 500 MW bereits die Wasserkraft. Gegenüber dem Ende 2000 erreichten Niveau entspricht dies noch einmal einer Erhöhung um den Faktor 2,5. Die größten relativen Steigerungsraten entfallen jedoch auf die Photovoltaik, die ihren Beitrag verzwölffacht und auf Strom aus Biomasse und Biogas, die ihren Beitrag mehr als verdreifachen. Potenzialgrenzen sind bis zu diesem Zeitpunkt nur für die Wasserkraftnutzung von Bedeutung, die schon jetzt weitgehend ausgenutzt ist und entsprechend nur im geringen Umfang zulegt.

Der Ausbau des Beitrags der erneuerbaren Energien kann unter den genannten Bedingungen in Einklang mit Landschafts- und Naturschutzgesichtspunkten erfolgen. Dies gilt auch für die Nutzung der Windenergie, die in den ausgewiesenen Vorranggebieten zunimmt, während die gekennzeichneten Tabuflächen unberührt bleiben. Hinzukommen auch sogenannte Offshore-Anwendungen, d. h. die Nutzung der Windenergie auf dem Meer.

Die Wärmeerzeugung aus erneuerbaren Energien legt mit 34 TWh/a im Jahr 2010 um mehr als den Faktor 2 zu. Dennoch beträgt ihr Anteil am gesamten Wärmebedarf auch dann nicht mehr als bescheidende 2,3%. Aber aller Anfang ist bekanntlich schwer. Wichtig ist jedoch, dass die entscheidenden Wachstumsimpulse gesetzt werden. Die größte Stütze des Wärmemarktes ist auch im Jahr 2010 die Biomasse einschließlich Biogas, die 60% des gesamten Zuwachses abdeckt. Aber auch hier weisen die heute noch weniger bedeutsamen Technologien, nämlich solarthermische Kollektoren mit 19 Mio. m2 Kollektorfläche und die Erdwärme mit 1,3 TWh/a die größten Steigerungsraten auf. Der Beitrag der Kollektoren steigt um das Siebenfache, derjenige der Erdwärme um das Zwölffache. Die angestrebte Ausweitung der Wärmeversorgung verlangt zudem einen deutlichen Einstieg in Nahwärmeversorgungen, die heute erst sehr geringe Anteile haben. Sie stellen im Jahr 2010 rund 30 % der gesamten Wärme (10 TWh/a) und damit etwa fünfzehnmal mehr als heute.

Der Gesamtbeitrag der erneuerbaren Energien mit 4,4% am Primärenergieverbrauch im Jahr 2010 und entsprechend einen Anteil an der Reduzierung der CO2-Emissionen mag manchem als relativ gering erscheinen. Trotzdem erfordert es noch außerordentliche Anstrengungen, dieses Ziel für alle Technologien zeitgerecht umzusetzen. Die Windenergie dürfte ihren Beitrag mit entsprechender politischer Unterstützung noch am ehesten ohne Schwierigkeiten erreichen und aus heutiger Sicht sogar überschreiten. Auch die Photovoltaik hat dank der beträchtlichen Unterstützung durch das 100 000-Dächer Programm und die 99 Pf/kWh-Regelung im Rahmen des Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) sehr günstige Ausgangsbedingungen, das Ziel von 700 MW Leistung im Jahr 2010 zu erreichen (Ende 1999: 65 MW). Ebenfalls ist durch das 200 Mio. Förderprogramm des Bundes sowie das EEG Bewegung in den Bau von Biogasanlagen gekommen. Allein im Jahre 2001 wird ein Zubau von 600 neuen Anlagen erwartet (2000: 1050 installierte Biogasanlagen). Die erforderlichen starken Marktzuwächse bei den Kollektoren, bei der Erdwärme und auch bei der Biomasse, dort speziell im Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung, sind dagegen noch keinesfalls gesichert. Neben einer Sicherung der Investitionszuschüsse von Bund, Ländern und Gemeinden könnte hier möglicherweise die Einführung einer Mindestquote für den Brennstoffgroßhandel erfolgversprechend sein.

Die Verwirklichung des Verdopplungsziels führt zu deutlich wachsenden Investitionen in erneuerbare Energien. Das jährliche Marktvolumen für Neuanlagen steigt bis zum Jahr 2010 auf knapp 7 Mrd. DM/a, die kumulierte Investitionssumme zwischen 2000 und 2010 beläuft sich auf rund 60 Mrd. DM. Bis zum Jahr 2010 werden sich diese Investitionen in einige Technologien trotz der Tatsache, dass sich die Anlagen mit steigenden Stückzahlen wahrscheinlich
verbilligen werden, noch nicht vollständig wirtschaftlich tragen. Die resultierenden Differenzkosten zu den anlegbaren Preisen einer konventionellen Strom- und Wärmebereitstellung können je nach Entwicklung der Energieträgerpreise ausgehend von 1,5 Mrd. DM im Jahr 2000 auf rund 4 Mrd. DM im Jahr 2010 abgeschätzt werden.

Dieser zusätzliche finanzielle Beitrag wird aber nicht umsonst sein, führt er doch zum Aufbau und zur Konsolidierung neuer Technologiemärkte und damit zur Schaffung von neuen zukunftsfähigen Arbeitsplätzen. Im Jahr 2010 dürften unter den aufgezeigten Bedingungen insgesamt ca. 40 000 Menschen im Bereich für Anlagenerstellung und –betrieb im Inland im Sektor der erneuerbaren Energien beschäftigt sein. Berücksichtigt man Verdrängungseffekte, so lassen sich durch die Realisierung des Verdopplungsziels knapp 25.000 zusätzliche Arbeitsplätze gegenüber dem derzeitigen Status ableiten. Hinzu kommen weitere Arbeitsplätze durch einen verstärkten Energie- bzw. Stromhandel und durch wachsende Exportmärkte. Die zusätzlichen Arbeitsplätze werden dabei in den Regionen entstehen und für viele Akteure neue Möglichkeiten schaffen. Ist heute schon die Windenergie für viele Landwirte ein zweites Standbein, kann dies zukünftig auch die Biomassenutzung werden. Der Landwirt von morgen ist dann vielleicht zugleich Windmüller und Biogasexperte.

Mit der Verdopplung des Beitrags erneuerbarer Energien ist der erste Schritt in die Richtung einer insgesamt nachhaltigen Energieversorgung gemacht worden. Langfristig stellt sich nicht nur im Zuge einer weiteren Verschärfung der Klimaschutzanforderungen, sondern zunehmend auch aus Gründen des Ressourcenschutzes die Situation anders dar als heute. In 50 Jahren müssen die erneuerbaren Energien einen deutlich höheren Beitrag zur Energieversorgung leisten. Die durch das Verdopplungsziel 2010 eingeleitete Wachstumsdynamik für erneuerbare Energien muss dementsprechend konsequent fortgesetzt werden.

Autor: Dr. Manfred Fischedick, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie
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