Herrsching | 21. Oktober 2016 |

Brüssel kratzt am Einspeisevorrang für Erneuerbare Energien

In der EU-Kommission gibt es Pläne, den Einspeisevorrang für Ökostrom abzuschaffen. Sie setzt auf den Markt. Experten, aber auch die Bundesregierung sehen dies als verfrüht an.

Ausgangspunkt des so genannten Winterpakets, das die EU-Kommission voraussichtlich am 7. Dezember präsentieren wird, ist die "Energieunion", in der die verschiedenen Punkte der Energiepolitik – Versorgungssicherheit, Binnenmarkt, Effizienz, Dekarbonisierung, Forschung und Wettbewerbsfähigkeit – zusammengeführt werden sollen. Eingang finden soll dies unter anderem in neue Strommarkt- und Erneuerbaren-Richtlinien.

Für die erneuerbaren Energien könnte es dabei ans Eingemachte gehen: Bereitet schon die von der EU-Kommission über ihre Beihilfe-Leitlinien erzwungene weitgehende Umstellung der Förderung auf Ausschreibungen Sorge, so steht nun auch der Einspeisevorrang für Ökostrom zur Disposition. Dieser Vorrang der Erneuerbaren beim Netzzugang und der Einspeisung ins Stromnetz ist bisher in der geltenden EU-Erneuerbaren-Richtlinie von 2009 festgeschrieben.
Maros Sefcovics, Vizepräsident der EU-Kommission und zuständig für die Energieunion, formulierte Ende September auf der Windmesse in Hamburg das Ziel: „Wir wollen mehr Wettbewerb und einen fairen Wettbewerb.“

Bundesregierung will am Einspeisevorrang festhalten

In einem Ende September geleakten Arbeitspapier zum so genannten „Impact Assessment“ (Folgenabschätzung bestimmter Maßnahmen) ist denn auch nachzulesen, welche Optionen zum Thema Einspeisevorrang diskutiert werden und wohin die Reise dabei gehen könnte. Als „most suitable option“, also passendste Möglichkeit, wird dabei die Abschaffung des Einspeisevorrangs (Priority Access und Priority Dispatch) dargestellt, die mit „klaren Redispatch-Regeln“ einhergehen sollte.

Dies entspricht auch der Mehrheitsmeinung in einer von der EU-Kommission im vergangenen Jahr durchgeführten Konsultation: 54 Prozent der insgesamt 320 Antwortenden aus Verbänden, Unternehmen, Regierungen und Institutionen waren der Ansicht, dass die Merit Order ausreiche, um den Vorrang der Erneuerbaren zu gewährleisten. Die Merit Order bestimmt die Einsatzfolge der Kraftwerke, abhängig von ihren Grenzkosten. Die Bundesregierung gehört zu den 46 Prozent, die den Markt dafür noch nicht für reif halten und für die Beibehaltung des Einspeisevorrangs plädieren: „Priority Access ist weiterhin eine wichtige Regelung für die Integration der erneuerbaren Energien in das Gesamtsystem“, heißt es in ihrer Stellungnahme zur Umgestaltung des Energiemarkts vom 23. Oktober 2015. Die Abregelung von Ökostrom mache auch mit Blick auf die Erfüllung des europäischen Erneuerbaren-Ziels „keinen Sinn“, außer, wenn dies für die Netzstabilität notwendig sei.

„Nach wie vor hat der Einspeisevorrang seine Berechtigung“, konstatiert auch der Energieverband BDEW. Doch sollte die derzeitige Regelung weiterentwickelt werden: „Sie erfasst noch nicht alle Anlagen und kann nicht vollständig verhindern, dass die Einspeisung des Stroms in Stunden mit negativen Marktpreisen gefördert wird“, so ein Sprecher.

Erneuerbaren-Abregelung führt zu Vorteil für konventionelle Kraftwerke

Claude Turmes, Energieexperte der Grünen-Frakion im EU-Parlament, verdeutlicht: „Wenn der prioritäre Netzzugang abgeschafft wird, besteht kein Druck mehr auf die Netzbetreiber, die Netze zu modernisieren.“ Und die vorrangige Abnahme sei gerade in Zeiten von Netzengpässen wichtig. Denn die entscheidende Frage ist, wer abgeregelt wird, weil es auch bei der Abregelung so etwas wie eine Merit Order gibt: „Am teuersten ist die Abregelung von AKW, dann kommen Kohle und Gas, am billigsten ist es bei den Erneuerbaren“, erläutert Turmes.

Das hat sich auch in einer Kurzstudie bestätigt, die die Strommarktexperten von Energy Brainpool im vergangenen Jahr für Greenpeace erstellt haben. Darin wurde die Praxis des Einspeisemanagements am Beispiel von Schleswig-Holstein untersucht. Zwei Drittel der abgeregelten Strommengen in Deutschland entfallen auf das Netzgebiet dieses Bundeslandes. Hier wurden im Jahr 2014 insgesamt 8,1 Prozent der Erneuerbarenerzeugung von den Netzbetreibern abgeregelt − obwohl es laut der Studie „eine nicht unerhebliche Anzahl von Situationen gab, in denen das Absenken konventioneller Leistung technisch möglich gewesen wäre“.

Co-Autor Thorsten Lenck resümiert: „Erneuerbare Energien haben einen natürlichen Einspeisevorrang aufgrund ihrer Position in der Merit Order. Bei niedriger Nachfrage stehen sie jedoch im Wettbewerb mit anderen Technologien, die hohe Grenzabschaltkosten haben. In Zeiten mit Einspeisemanagement wird der Einspeisevorrang durch ‚Must run‘ ausgehebelt.“ Unter Must-run-Kapazitäten versteht man konventionelle Grundlast-Kraftwerke. So laufen unflexible und CO2-trächtige Kraftwerke weiter. Ein Effekt, der Klimaschutz und Energiewende zuwiderläuft und zeigt, dass es eben nicht so ist, dass „der Markt es regelt“, wie es immer so schön heißt.

CO2-Emissionen würden steigen

„Bei einer Abschaffung des Einspeisevorrangs würde dies zu der absurden Situation führen, dass Kohle und Atom privilegiert sind“, so Turmes. Mit der Folge, dass die CO2-Emissionen in Europa ansteigen, wie auch die EU-Kommission in ihren Analysen ermittelt habe. Das Fazit von Lenck lautet daher: „Die Aufrechterhaltung und konsequente Einhaltung des Einpeisevorrangs erneuerbarer Energien unterstützt den Rückbau konventioneller Must runs. Das ist ökologisch und vermutlich auch volkswirtschaftlich sinnvoll.“

Die Erneuerbaren-Branche fordert die Beibehaltung des Vorrangs. „Die jetzige Struktur und Funktionsweise der europäischen Märkte bieten ohne Einspeisevorrang keine ausreichende Gewähr, dass größere Mengen von Strom aus erneuerbaren Energien integriert werden“, konstatiert der Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energie Hermann Falk.

Rechtssetzungen sind auch politische Entscheidungen

Wie wichtig die Weichenstellung durch rechtliche Regeln ist, weiß Thorsten Müller, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht: „Es ist immer das Recht, das darüber entscheidet, welche Technologien zum Durchbruch kommen. Ein technologieneutrales Recht gibt es nicht, der Gesetzgeber trifft – bewusst oder unbewusst – immer eine Entscheidung für oder gegen einzelne Techniken, auch wenn er offene Normen schafft.“

Für seinen Kollegen, den EU-Rechtsexperten Fabian Pause, ist klar: „Wenn die Merit Order nicht in allen Fällen dafür sorgen kann, dass die erneuerbaren Energien immer als erste eingesetzt werden, dies aber weiterhin gewollt ist, muss der Einspeisevorrang gesetzlich verankert bleiben." Zu der Möglichkeit von Ausnahmen, etwa für kleine Anlagen oder Technologien, die noch nicht marktreif sind, falls der Einspeisevorrang abgeschafft wird, konstatiert Pause: „Die Frage wäre dann, ob und wie konkret die EU-Gesetzgebung Ausnahmen zur Beibehaltung des Einspeisevorrangs zugunsten erneuerbarer Energien ermöglichen wird. Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen können, dass die Marktstellung erneuerbarer Energien insgesamt nicht verschlechtert wird.“

Das EU-Parlament will daher, im Gegensatz zu den Kommissionserwägungen, den Erhalt des Einspeisevorrangs. Auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat bekräftigt, dass die Bundesregierung am Einspeisevorrang festhalten will. Wenn die EU-Kommission diesen wirklich abschaffen wolle – was er nicht glauben mag – „sind wir natürlich dagegen“, sagte er Ende September auf der Windenergy in Hamburg. Mal sehen, wie weit der Widerstand dann tatsächlich geht.

Webseite der Fachzeitschrift "Energie & Management"
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