Herrsching | 7. November 2023 |

Wer soll das bezahlen? – Wie teuer sind zukunftsfähige Energienetze

Die Transformation und der Ausbau der Strom- und Gasnetze für die Energiewende kostet viel Geld − und neue Fernwärme- und Wasserstoffnetze kommen hinzu.

Eine zentrale Forderung auf dem BDEW-Fachkongress „Treffpunkt Netze 2023“ in Berlin galt klaren Investitionsbedingungen für die anstehenden umfangreichen Netzbaumaßnahmen. Die Energiewende weg von zentralen Großkraftwerken hin zu vielen dezentralen Erneuerbaren-Anlagen erfordert den Ausbau und eine Digitalisierung der Stromleitungen. Bis 2030 wollen die Übertragungsnetzbetreiber dafür 126 Milliarden Euro in die Hand nehmen. Aber auch im Verteilnetz, wo PV-Anlagen, Wallboxen für E-Autos und Wärmepumpen angeschlossen werden, planen die Verteilnetzbetreiber bis dahin 42 Milliarden Euro Investitionen ein.

Das Gasnetz muss entweder auf Wasserstoff umgerüstet oder die Leitungen müssen stillgelegt werden. Was wo passiert, wird sich erst in den nächsten Jahren mit der kommunalen Wärmeplanung herauskristallisieren. Für die Wärmewende soll auch mehr Fernwärme zum Einsatz kommen, was neue Netze erfordert. Weitere 25 Milliarden Euro benötige der Aufbau des Wasserstoffkernnetzes, umriss das Mitglied der BDEW-Hauptgeschäftsführung Andrees Gentzsch. „Netzausbau und Netzbetrieb müssen wirtschaftlich sein“, forderte er auf dem Kongress im Oktober von der Politik.

Die Netze seien die Grundlage, um die Energiewende umzusetzen: „Daher ist es entscheidend, dass die Branche diese Herausforderungen gemeinsam mit Politik und Bundesnetzagentur angeht.“ Die Netzbetreiber benötigten in Zeiten eines sich stetig ändernden Finanzierungsumfelds dringend einen verlässlichen Ordnungsrahmen.

Weniger Bürokratie, mehr Sicherheit

„Wichtig ist dabei: Wir brauchen keine zusätzliche Bürokratie, die die Netzbetreiber von ihren Kernaufgaben, dem Netzausbau und dem sicheren Netzbetrieb, abhält“, mahnte Gentzsch. Die Bundesnetzagentur plane, für die Energiewirtschaft einen stabilen und vorhersehbaren Rahmen zu setzen, versprach Barbie Kornelia Haller, Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur auf der Tagung. Zugleich sehe sich die Behörde als neutraler Moderator der Marktteilnehmer und manchmal Beschützer einzelner Akteure.

Die nächste Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) werde gemäß EU-Vorgaben die Kompetenzen der Agentur erweitern, worauf man sich gegenwärtig vorbereite. „Wir sind jetzt anders, aber noch viel stärker kontrolliert durch den Beirat und die Bundesländer“, versicherte Haller als Antwort auf Bedenken der Branche. Den Beirat der Bundesnetzagentur vertrat die stellvertretende Vorsitzende Ingrid Nestle (Grüne). Sie versicherte, die Interessen aller Beteiligten − vom Unternehmen bis zum Verbraucher − abzuwägen, sowohl im Bundestag wie im Beirat.

Haller nannte als direkt anstehende Aufgaben der Behörde für 2024/25, die Zukunft der Gasnetze zu umreißen und die Digitalisierung im Netzausbau neu zu regeln sowie die Dekarbonisierung voranzutreiben. Beim Gasverteilnetz würden Teile stillgelegt, andere für Wasserstoff und grüne Gase umgewidmet. Die Bundesnetzagentur müsse die Unternehmen im Blick behalten, aber auch die Verbraucher schützen vor sprunghaften Netzentgeltanstiegen und fehlender Versorgung, erläuterte Haller.

Ende 2028 laufen die Regulierungen zu Anreizregulierung und Netzanschlüssen aus, darüber sei neu zu entscheiden, skizzierte sie die Themen der kommenden Jahre. Erst Mitte 2026 oder 2028 werde man einen Überblick über die Entwicklung der Wärmeversorgung haben wegen der Fristen für die kommunale Wärmeplanung. Haller riet zugleich Netzbetreibern, bereits selbstständig zu planen. Ihre Behörde arbeite derzeit an der Genehmigung der ersten Tausend Kilometer des Wasserstoffkernnetzes.

Für die Stromverteilnetzbetreiber unterstrich Christoph Müller, CEO der Netze BW, die Bundesnetzagentur sei wichtig. Er mahnte seine Kolleginnen und Kollegen im Auditorium: „Nicht an allem ist die Bonner Behörde schuld.“ So sei die Marktkommunikation (Mako) von den Netzbetreibern selbst entworfen worden und auch viele Probleme beim Redispatch seien selbst gemacht. „Die Abwicklung von Prozessen in den Unternehmen ist fast nicht mehr zu schaffen“, klagte Müller zugleich. Die Bundesnetzagentur müsse sie unterstützen, damit die Abwicklung weiter funktioniere.

Wichtigste Themen vorziehen

Beweis seien die Probleme bei der Umsetzung der Energiepreisbremsen und der angedachten Gasumlage gewesen. Zum 1. Januar solle der § 14a des EnWG kommen, der die Regelung von Stromflüssen durch die Verteilnetzbetreiber erlaubt. „Die Softwarehersteller arbeiten erst los, wenn das Gesetz verabschiedet ist, das macht es sehr knapp“, befürchtet Müller. „Die Konsultation zum § 14a war neu und gut, er wurde in einer tatsächlichen Debatte entwickelt und festgelegt unter Berücksichtigung der Praxiskommentare“, lobte er. Die Umsetzung werde trotzdem schwierig.

Bei diesen Herausforderungen sei es wichtig, nicht noch mehr Themen aufzuhäufen. Unter großem Beifall aus dem Publikum sagte er: „Unsere Kraft der Umsetzung ist begrenzt. Wir müssen uns gut überlegen, was wir dringend angehen müssen.“ So sei es vielleicht weniger wichtig, für Kunden den Wechsel des Energieanbieters „in einem Tag“ umzusetzen.

Direkte Kritik an der Bundesnetzagentur übte Müller bei der Refinanzierung der Investitionen. So sei die geplante Veränderung der Eigenkapitalverzinsung (EK-Zins) „komplett aus dem Markt gefallen“. Zwei unterschiedliche Zinssätze für Alt- und Neuanlagen machten keinen Sinn. Die Bundesnetzagentur benötige mehr Fachaufsicht und Expertise von Ökonomen, forderte er.

Haller betonte, dass ihre Behörde die Regelungen stets von externen Gutachtern prüfen lasse, die durchaus auch Wirtschaftsexperten seien. Sie kündigte eine Fortsetzung der Konsultationen zum EK-Zins an. „Eine Gleichbehandlung von Neu- und Bestandsanlagen beim Eigenkapitalzins kosten pro Haushalt und Monat durchschnittlich 50 Cent, so viel müsse die Energiewende wert sein“, appellierte Stephan Kapferer, CEO des Übertragungsnetzbetreibers 50 Hertz.

Hans-Jürgen Brick, Kapferers Kollege von Amprion, sagte: „Wir haben gemeinsam das Ziel der Energiewende, aber es muss auch finanziert werden.“ Ohne Netzinvestitionen sei kein Kohleausstieg möglich, erinnerte er die Politik. „Wir können durch die Planungsbeschleunigung Zeit gewinnen, verlieren sie aber vielleicht wieder bei der Kapitalbeschaffung“, befürchtet er.

BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae sagte, die Branche versuche, auch selbst Probleme zu lösen: „Wir gehen voran und digitalisieren und standardisieren die Prozesse.“ Der Einführung verschiedener Preiszonen im Stromnetz hierzulande steht sie skeptisch gegenüber: „Gesellschaftlich und wirtschaftlich wird eine Preiszonenaufteilung nicht machbar sein.“ Sie stimmte dem Staatssekretär Philipp Nimmermann aus dem Bundeswirtschaftsministerium zu, dass ein „Nutzen statt Abregeln“ von Strom, der nicht ins Netz passt, ein geeigneterer Hebel sei. Doch auch dafür sei rasch eine Regulierung nötig.

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